Gefühle werden in unserer Gesellschaft oft negativ abgestempelt.
Jetzt heul hier nicht so rum. Ist doch peinlich in aller Öffentlichkeit.
Reiß dich mal zusammen.
Lach doch nicht so laut, die am Nachbartisch wollen bestimmt ihre Ruhe haben.
Wir sollen uns möglichst richtig verhalten: unauffällig, anständig, angepasst. Und natürlich alle Anforderungen erfüllen.
Auch in der Schule und Ausbildung werden Gefühle völlig vernachlässigt. Den Verstand mit Wissen füllen, auf Knopfdruck abliefern und entweder du liegst richtig oder falsch. Wann wurdest du von einem Lehrer oder Ausbilder mal gefragt, wie es dir wirklich geht? Wie du dich in der Gemeinschaft und mit dem ganzen Input fühlst? Wie denn auch – der Lehrer ist ja froh, wenn er es ohne Zwischenfälle pünktlich zum nächsten Unterricht schafft. Auf der Arbeit ist das selten anders.
Die Folgen werden zunehmend sichtbar: Depression, Burnout, „psychische Erkrankungen“ sind in aller Munde. Die Gefühle suchen sich ihren Weg eben auf andere Weise.
Auch ich stand 2009 kurz vor dem Burnout. Ich war erschöpft, wie abgeschnitten von mir selbst, ohne Perspektive. Gefühle waren mir bis dahin ein Fremdwort. Ab und zu sind sie mal aus mir herausgebrochen. In solchen Phasen habe ich mich zu Hause verschanzt und gewartet, bis es vorbei war. Dazu stehen? Mit anderen darüber sprechen? Weit gefehlt.
Wäre ich mir meiner Gefühle bewusst gewesen und hätte ich mit mir lieben Menschen darüber gesprochen, dann wäre ich gar nicht in diese missliche Lage gekommen. Dann hätte ich viel früher reagieren können auf das, was mir meine Gefühle und inneren Stimmen gesagt haben.
Heute weiß ich, wie wichtig Gefühle sind, um ein ausgeglichenes, erfülltes, authentisches Leben zu führen. Ich habe jedes Einzelne in all seinen Facetten kennengelernt: Wut, echte Trauer, Angst, sprühende Glücksgefühle, wahre, tiefe, bedingungslose Liebe. Wie viel Raum haben deine Gefühle im Leben? Darf es ein bisschen mehr sein? Hier 10 Gründe, die dafür sprechen.
10 Gründe, warum Gefühle so wichtig sind:
- Unser Verstand weiß oft, was gut für uns ist. Aber nicht immer: Wenn du auf dein Gefühl hörst, bekommst du wichtige Informationen, die auf einer ganz anderen Ebene liegen
- Es macht gesund und glücklich: Unterdrückte Gefühle suchen sich einen anderen Weg. Erschöpfung, Krankheit, Depression. Lädst du deine Gefühle ein, fühlst du sich ausgeglichener, kraftvoller und zufriedener
- Gefühle sind die Sprache der Seele und machen ihre Bedürfnisse sichtbar
- Gefühle verbinden: Der Verstand urteilt, vergleicht, bewertet. Alles Punkte, die uns voneinander trennen. Mit dem Herzen kannst du Gemeinsamkeiten sehen und es entsteht echte Verbindung
- Gefühle sind ehrlich: Der Verstand gaukelt uns häufig etwas vor. Er ist ein Meister darin, uns unsere Welt zu konstruieren. Gefühle sind echt. Auch, wenn es manchmal schwer fällt zwischen wirklichem Fühlen und ‚Denken, dass man fühlt‘ zu unterscheiden. Je intensiver du deine Gefühlen wahrnimmst, desto leichter wird es dir fallen, zu differenzieren
- Gefühle erleichtern Entscheidungen: Nur, wenn du fühlst, weißt du, wie es dir geht. Nur wenn du fühlst, weißt du, was dir gut tut oder eben nicht. Nur wenn du das weißt, kannst du die für dich besten Entscheidungen treffen
- Gefühle schaffen Lernerfahrungen: Erst über das Gefühl können sich Erfahrungen in deinem Leben verankern. An welche Erlebnisse und Erfahrungen aus deinem Leben kannst du dich erinnern? Wahrscheinlich waren in den Momenten eine Menge Gefühle beteiligt…
- Gefühle machen frei: Der Kopf versucht alles zu verstehen, zu begreifen und zu planen. Er braucht Sicherheit. Gefühle möchten fließen. Ihnen zu folgen macht frei und schafft ganz neue Möglichkeiten
- Gefühle holen dich ins Hier und Jetzt: Gefühle sind immer nur im jeweiligen Moment präsent. Wenn du mit deinen Gedanken abschweifst, gehe mit deiner Aufmerksamkeit ins Gefühl. Dein Verstand hört sofort auf in der Vergangenheit oder der Zukunft zu weilen
- Gefühle verändern die Wahrnehmung: Wir nehmen lediglich 7% von dem, was um uns herum passiert, bewusst wahr. Oft sind dabei die Augen im Fokus. Verlagerst du die Wahrnehmung auf dein Gefühl, wirst du ganz andere Dinge wahrnehmen und deine Welt wird viel lebendiger. Eine Übung dazu findest du weiter unten.
Was kannst du nun tun, um deine Gefühle kennenzulernen?
Eins vorab: Aus eigener Erfahrung weiß ich: das geht nicht von heute auf morgen. Wenn du deine Gefühle jahrelang – vielleicht Jahrzehnte oder mehr als ein halbes Jahrhundert – ignoriert, ausgeblendet, unterdrückt hast, werden diese sich möglicherweise vor dir verstecken. Lasse dir Zeit und suche dir möglicherweise Unterstützung.
Folgende Dinge haben mir geholfen:
- Suche dir eine vertraute Person, die für dich da ist und mit der du über deine Erfahrungen sprechen kannst. Ich selbst wurde in den Phasen intensiver Persönlichkeitsentfaltung von Profis unterstützt.
- Fange bei deinem Körper an, denn dort werden deine Gefühle spürbar. Wenn du dein Körperbewusstsein schärfst, wirst du auch deine Gefühle leichter wahrnehmen. Progressive Muskelentspannung, TRE, Grinberg, Yoga und andere „Methoden“ können dir dabei helfen.
- Führe Selbstgespräche: Ein Gespräch schafft häufig Klarheit. Wenn du zum Beispiel eine Entscheidung fällen möchtest, dann rede mit dir selbst. Frag dich „Wie fühlt sich das für mich an?“ „Wo spüre ich dieses Gefühl in meinem Körper?“ „Was brauche ich noch, um eine Entscheidung fällen zu können?“. Sprich die Antworten laut aus oder noch besser: schreibe sie auf! Zu Beginn mag es etwas komisch erscheinen. Aber je öfter du übst, desto klarer werden deine Gefühle mit dir sprechen.
- Spiele mit deiner Aufmerksamkeit: Hier ist eine schöne Übung, die ich aus meiner Coachingausbildung kenne.
Gehe mit deiner Aufmerksamkeit in deinen Kopf. Bewege dich langsam durch den Raum und nimm alles wahr, was dir begegnet. Nach 3-4 Runden komme zum Stehen, schließe die Augen und gehe mit deiner Aufmerksamkeit in deinen Bauch. Öffne die Augen langsam wieder, bleib mit deiner Aufmerksamkeit in deinem Bauch und gehe erneut durch den Raum. Nimm den Raum aus dem Bauch heraus wahr. Komme nach 3-4 Runden wieder zum Stehen. Was hast du in der ersten Runde wahrgenommen – was in der Zweiten? Möglicherweise sah der Raum ganz anders aus. Auch die Welt sieht ganz anders aus, wenn wir sie durch unser Gefühl betrachten. - Urteile nicht: dieser Punkt ist ganz wichtig. Der Verstand möchte schnell sein Urteil abgeben über das, was in deiner Gefühlswelt los ist. Der hat jedoch Pause. Ziehe dich auf die Beobachterrolle zurück. Alle Gefühle sind OK! Egal wie heftig, unangenehm, intensiv sie sind. Lasse sie zu, denn nur so können sie sich ausdrücken und irgendwann auflösen.
Ich wünsche dir eine tolle Reise in deine Gefühlswelt. Falls du Unterstützung brauchst, bin ich gerne für dich da. Schicke mir eine E-Mail und wir können ein kostenloses Vorgespräch vereinbaren.
Falls du ein Stück der Reise bereits hinter dir hast, schreibe einen Kommentar unter diesem Blog mit Dingen, die dir geholfen haben.
Herzlichst, deine Katrin
Liebe Katrin,
einen sehr gefühlvollen und wahren Artikel hast Du hier verfasst.
Grad erst in der letzten Woche hatte ich die Situation, dass eine Führungskraft mit den Gefühlen seines Mitarbeiters konfrontiert wurde und darauf sagte: „Sein Sie nicht so emotional!“. Aus dieser Äußerung entwickelte sich ein Konflikt. Dass Gefühl im Geschäftsleben tunlichst nicht zu suchen haben, ist leider noch gängige Praxis. Auch in Teams erlebe ich das oft.
Daher meine Ergänzung: Wenn Ihre Gefühle aus Ihnen sprechen, ist das richtig und wichtig. Klar kommt es auch immer auf das wie an, aber der Kontakt zu Ihren Gefühlen ist ganz elementar in Ihrem Leben. (siehe 10 Gründe). Lassen Sie sich nicht von solchen Kommentaren zurückschrecken, sondern bleiben Sie dabei. Machen Sie sich bewußt, dass auch Ihr Gegenüber erst wieder lernen muß, mit Gefühlsäußerungen anderer umzugehen.
Ich sehe ein große Chance darin auch im beruflichen Alltag sich seiner Gefühle wieder mehr bewusst zu werden. So entsteht echter Kontakt, das macht das Arbeiten produktiver, löst Konflikte viel nachhaltiger und und…
Danke, liebe Katrin für Deinen „Aufruf“
Herzliche Grüße aus Berlin
Melanie Blank
Liebe Melanie,
ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar und die damit einhergehende Ermutigung. In der Tat gewinnt auch die Berufswelt ungemein, wenn Gefühle dort wieder gehört werden. Wir hatten das Thema gerade gestern auf einem Vortrag. Wahre Wertschätzung ist ja eher ein rares Gut, ein Danke kommt auf der Arbeit kaum. Das wiederum enttäuscht viele Mitarbeiter, da sie viel für ihr Unternehmen geben. Offen darüber gesprochen wird aber nicht. Man versucht, die ganze Verletzung nicht so an sich rankommen zu lassen und stumpft immer mehr ab. Da hat weder der Mitarbeiter, noch das Unternehmen etwas von!
Ich wünsche dir und allen anderen Lesern eine schöne Woche,
liebe Grüße, Katrin
Guten Morgen,
ich habe noch eine Anregung:
In dem Versuch, mir selbst und meinen Gefühlen näher zu kommen, steht mir immer wieder mein Kopf im Weg – und lässt sich nur schwer ausschalten oder beiseite stellen. Um mehr in den Körper zu kommen, habe ich nun mit einem Theaterspielkurs begonnen: In dieser Körperarbeit lerne ich nun Ausdrucksmöglichkeiten für Gefühle entdecken und erspüren, und spüre deutlich, mit welchen ich schon ein wenig besser aus mir heraus arbeiten kann, und welche ich noch mehr für mich entdecken muss. Sicher nicht der Weg für jeden, aber nach meiner Erfahrung viel direkter und deutlicher als Yoga o.ä.!
Liebe Grüße
eva
Liebe Eva,
danke für die tolle Ergänzung, die diesen Artikel sehr bereichert! Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. So stell ich mir den Austausch hier vor!
Liebe Grüße,
Katrin
Vielen Dank:)