Kennst du das? Diesen einen kleinen Funken, der das Fass absolut zum Überlaufen bringt? Meist gibt es dann irgendeinen Menschen, der all dies abbekommt – in welcher Form auch immer. Sei es der Herr an der Technikhotline, der Mann vom Klemptnerservice, die Kollegin, der Ehemann, die Kinder oder die Nachbarn. Heute möchte ich euch eine kleine Geschichte aus meinem Leben erzählen, wo ich der kleine Funken war, der das Fass zum überlaufen gebracht hat.

Das Fass läuft über – aber gewaltig

Es war im Jahre 2008 als ich ganz frisch in meine neue Wohnung in der Bonner Südstadt eingezogen bin. Vor unserem Haus waren zwei Garagen, wobei eine davon an die Bewohner des Nachbarhauses vermietet wurde. Auf der Straße war kein Parkplatz frei – ein Auto voller Dinge, die in die Wohnung geschleppt werden wollten. Da lag es nahe, das Auto mal eben kurz vor der Garage abzustellen. Ihr könnt euch vorstellen, was kommt: Als ich das 3. Mal nach unten komme, steht ein Auto hinter meinem – eine wutschnaubende Frau hinter dem Steuer. „Das kann ja wohl nicht wahr sein. Was machen Sie auf meinem Parkplatz. Fahren Sie sofort das Auto da weg. Jedes Mal ist es das Gleiche, dafür zahle ich doch keine Miete…..“ Ich bin auf die Dame zugegangen, habe ihr meine Hand hingestreckt und mich vorgestellt. „Guten Tag. Ich bin gerade hier eingezogen. Mein Name ist Katrin Linzbach. Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte nur gerade etwas ausladen. Ich fahre den Wagen sofort weg“. Der Dame war all das egal, sie schnaubte weiter vor sich hin.

„Puh…“ dachte ich, „das kann ja eine heitere Nachbarschaft werden“. Im Laufe der Jahre habe ich die Dame ab und zu mal wiedergesehen. Wir haben uns verhalten gegrüßt – nicht mehr nicht weniger. Ich habe dem Ausbruch keine weitere Bedeutung beigemessen, doch irgendwie blieb ein leicht komisches Gefühl zurück. Die Dame war in meinem System als „Komm ihr nicht zu nahe“ abgespeichert.

‚Was ich ihnen schon immer mal sagen wollte‘

Kurz vor meinem Auszug, ca. 3 Jahre später, wurde ein Päckchen von mir dort abgegeben. Das erste Mal in der ganzen Zeit, in der ich dort gewohnt habe. „Oh je – hoffentlich darf ich mir nicht gleich wieder was anhören, von wegen ‚Ich habe besseres zu tun, als ihre Päckchen anzunehmen'“. Mit meinem schönsten Strahlen im Gesicht bin ich rüber und habe geklingelt. Ich konnte gar nicht sagen, worum es geht, da schosse es schon aus ihrem Mund „Frau Linzbach. Ich muss mich bei ihnen entschuldigen. Als ich sie damals so angeraunzt habe, wegen dem Auto. Mein Vater lag mit einem Schlaganfall im Krankenhaus, ich hatte Chaos auf der Arbeit und musste mit meiner Tochter zum Arzt. Und dann standen Sie noch auf meinem Parkplatz. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Es tut mir wirklich leid. Ich war nicht Herr meiner Sinne. Meine Tochter hat mich später darauf aufmerksam gemacht. Ich habe das gar nicht gemerkt“. Ich war sprachlos. Da hat die Dame ihr schlechtes Gewissen drei Jahre lang mit sich herumgeschleppt?

Was du daraus lernen kannst

Die Geschichte geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Und ich erzähle sie dir hier, da sie mehrere wichtige Botschaften enthält:

1. Wenn du das Gefühl hast, dich bei jemandem entschuldigen zu wollen, dann tue es jetzt. Sofort. Dieser seelische Balast kostet unglaublich viel Kraft. Die Energie kannst du wirklich in bessere Dinge stecken.

2. Wenn du ein ähnliches Erlebnis mit deinem Nachbarn oder einer anderen Person, der du regelmäßig begegnest, gehabt hast: Gehe einen Schritt auf diese Person zu. Je lauter Menschen schreien, desto größer ist die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Es klingt banal und abgelutscht. Aber genau so ist es. Du weißt nicht, warum Menschen wie reagieren. Im Zweifel hat es überhaupt Nichts mit dir zu tun. Mache den ersten Schritt – aus dem Herzen heraus und gib eurer Begegnung so eine neue Chance. Ich selbst bin damals leider nicht auf die Idee gekommen. Und das, obwohl auch mir jede Begegnung mit meiner Nachbarin schwer auf dem Magen lag und so kostbare Lebensenergie geraubt hat. Diese kannst du besser in die Realisierung deiner Träume, in die Planung deines Urlaubs oder sonst etwas, dass dir gut tut, stecken. Heute weiß auch ich das.

3. Solltest du zu den Menschen gehören, die regelmäßig Dampf ablassen, dann höre genau in dich hinein: Was brauchst du gerade wirklich? Wie kannst du mehr Raum für dich und deine Bedürfnisse schaffen? Es ist sicherlich möglich, ständig Dampf abzulassen. Doch es stört nicht nur die Person, die es abkriegt, sondern vor allem raubt es dir kostbare Energie. Ein Ausbruch weniger und dafür mehr Ruhe für dich und du wirst dich Stück für Stück wieder kraftvoller fühlen.

Natürlich ist man nie ganz frei von solchen Momenten. Wenn ich auf dem Weg zum Seminar 2h im Stau stehe, unterwegs vielleicht noch mein Kaffee umkippt und ich dann einen Haufen wilder Schüler vor mir habe, kann es sein, dass meine Kolleginnen in der Pause auch schon mal etwas abbekommen. Manchmal tut es auch einfach gut, sich Luft zu machen. Doch sei achtsam. Lohnt es sich wirklich? Wie geht es meinem Gegenüber damit? Welche alternativen Strategien kann ich mir erarbeiten, um diese Momente Schritt für Schritt aus meinem Leben zu verbannen?

Ich wünsche dir viele Momente voller Freude und Gelassenheit. Und wenn doch mal der Hutkragen reißt – schrei ins Kissen. Das hilft bei mir hervorragend!

Herzlichst, deine Katrin